Social Media im 18. Jahrhundert

Was das 18. Jahrhundert und Social Media miteinander zu tun haben? Dazu mein Essay über Leopold Mozarts Social Media, erstveröffentlicht in den Sonderseiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft im Crescendo-Magazin, September 2018, hier zum Nachlesen oder als pdf zum Downloaden:

 

Leopold Mozarts Social Media

 

Leopold Mozart (1719–1787) war ein exzellenter Kommunikator und Netzwerker, wie seine Briefe eindrucksvoll belegen. Sie sind Zeugnisse eines weitsichtigen Mannes, der strategisch vorging und die medialen Möglichkeiten seiner Zeit mit ausgeprägtem Bewusstsein für die Wirkkraft von Bild und Sprache nutzte. Mit beiden beförderte er seine eigene und die Karriere seiner Kinder sowie den Starkult um sein »göttliches Wunder«: Wolfgang Amadé.

 

Mozart in der medialen Öffentlichkeit

 

Ein Blick auf Twitter genügt, um zu sehen: Wolfgang Amadé Mozart lebt! Sein Profil @MozartAmadeus_ hat über sechzigtausend Follower. Dabei ist es nur eines von vielen Mozart-Profilen. Schaut man seinen Vater an, schwindet die Zahl der Follower. Lediglich knapp über zweihundert Interessierte folgen Leopold Mozart. Der Sohn hat seinen Vater in Sachen Bekanntheit weit überholt. Das kann nicht wundern angesichts seines überragenden musikalischen Œuvres und des Starkults, der sich schon zu Lebzeiten um das Wunderkind aufbaute. Bei der Frage aber, wie der Star Wolfgang Amadé zum Star wurde, rückt Vater Leopold in den Vordergrund. 

Zweifelsohne spielte dieser eine tragende Rolle für den außerordentlichen Erfolg und die Berühmtheit seines Sohnes: Leopold Mozart agierte nicht nur als begnadeter Pädagoge, sondern auch als ausgezeichneter Manager und Medienstratege. Taktisch geschickt setzte er Kupferstiche, Artikel und Inserate als „Werbemittel“ ein und lancierte Zeitungsberichte im Umfeld der Konzerte seiner Kinder. Durch sein überlegtes Vorgehen sowie seine ausgeprägten kommunikativen Fähigkeiten schuf er ein weit verzweigtes Netzwerk aus Kontakten in ganz Europa und öffnete seinen Kindern Tür und Tor zu den wichtigsten Adressen in Adel, Klerus und Bürgertum. 

 

Doch auch nach seinem Tod wurde der Kult um den Ausnahmekünstler Wolfgang Amadé über die Jahrhunderte weiter ausgebaut und (stadt)marketing-strategisch genutzt wie gepflegt: Salzburg, Wien, Prag und Augsburg schreiben sich den Namen Mozart auf ihre Fahnen, Festivals, Events und Produkte werden auf oft beliebige Weise mit seinem Namen geadelt, Mozartfilme befeuern die Legendenbildung um den Genius und verleihen dem „Göttlichen“ eine nahbare Menschlichkeit. 

 

Als Manager seiner Kinder brachte Leopold Mozart die Karriere seines Sohnes Wolfgang Amadé geradezu strategisch auf den Weg.

 

Bereits vor der Geburt von Wolfgang Amadé hatte sich Leopold Mozart einen ausgezeichneten Ruf als Komponist, Pädagoge und Musiker, aber auch als Unternehmer und Verlagsagent erarbeitet. 1756, im Geburtsjahr seines Sohnes, brachte er sein schon zu Lebzeiten viel beachtetes Lehrwerk „Versuch einer gründlichen Violinschule“ heraus. Die ausgedehnten Konzertreisen mit seinen Kindern, die in den nächsten Jahren folgten, bauten seinen eigenen Ruf als „gelehrter Musicus“ weiter aus. Das wiederum wirkte positiv auf die Bekanntheit seiner Kinder. 1766 schreibt der Enzyklopädist Baron Friedrich Melchior Grimm: „Der Vater ist nicht nur ein geschickter Musiker, sondern ist auch ein Mann von gutem Verstand und Geist, und nie sah ich einen Mann von seinem Beruf, der mit seinem Talent so viel Verdienst verbindet.“

 

Leopold Mozart bewegte sich elegant auf dem Parkett der »sozialen Medien« seiner Zeit. Doch wie passen Social Media und das 18. Jahrhundert überhaupt zusammen?

 

Heutige Social Media folgen eigenen Regeln: Die Repräsentationsebenen der Kommunikation sind digitaler Natur und werden von Algorithmen gesteuert. Damit bieten sie eine nie da gewesene Möglichkeit des interkulturell-globalen Austauschs: Soziale wie kulturelle Ungleichheiten verlieren sich an der Oberfläche digitaler Zeichen und ermöglichen Kommunikation auf der Augenhöhe von Bits und Bytes. Trotz der digitalen Struktur liegen Kommunikationsprozesse zugrunde, deren Anfänge in der Mediengenealogie seit der Entwicklung der Sprache zu finden sind. Seit es Menschen gibt, werden Medien eingesetzt, um Verständigung zu ermöglichen und Öffentlichkeit herzustellen. Vor diesem Hintergrund kennt das 18. Jahrhundert vor allem ein Medium des sozialen Austauschs: den Brief. Das Zeitalter der Aufklärung mit einem neuen Gefühl der Selbsterkenntnis und Selbstwirksamkeit findet in ihm eine äquivalente Ausdrucksform. Durch den Brief ließ sich gesellschaftliche Konstitution und Kommunikation neu ordnen und auf der Basis von Gleichheit und Freundschaft aufbauen. 

 

Für den Aufklärer Leopold war der Brief ein geschätztes Medium, das er meisterhaft beherrschte. 

 

Die Quantität, aber vor allem die sprachlichen und intellektuellen Qualitäten der Briefe Leopold Mozarts sind bemerkenswert. Seine u.a. Familienbriefe, Reisebriefe, Geschäftsbriefe, sowie Briefe an Freunde und Gelehrte sind nicht nur Quellen zahlreicher Erlebnisberichte, sondern vermitteln auch seine persönlichen Interessen, seine Ziele und Erwartungen sowie seine Denkweise und Gesinnung. Auch lassen sie Rückschlüsse auf die Persönlichkeit Leopolds, seiner Familie sowie auf die der Adressaten zu und sind Abbild der realen Vernetzung und der Beziehungsgeflechte, die Leopold so geschickt aufbaute - darin spiegeln die Briefe ganz Ähnliches wider, wie Profile heutiger sozialer Netzwerke. Die Briefe ordneten nicht nur die Gegenwart, sie waren auch Archivalie der Erinnerung sowie der Dokumentation. »die Briefe musst Du alle aufheben« schreibt Leopold 1769 an seine Frau Anna Maria. Auch Kopien ließ er anfertigen. Dass er sich in besonderem Maße der geschichtlichen Dimension seiner Aufzeichnungen bewusst war, zeigt folgende interessante Randnotiz: Ein Orgelwettstreit Wolfgangs mit dem jungen Joseph Sigmund Eugen Bachmann aus dem nördlich von Augsburg gelegenen Biberbach bleibt in sämtlichen Briefen Leopolds unerwähnt. Die denkwürdige Tatsache, dass neben Wolferl ein weiteres Wunderkind existiert, das im direkten Vergleich mit dem jungen Sohn standhalten kann, sollte besser unerwähnt bleiben und nicht in seine „Geschichtsschreibung“ eingehen. 

 

Berufliche Netzwerkarbeit

 

Leopold Mozart nutzte nicht nur seine Briefe um Kontakte zu pflegen, er war auch äußerst geschickt darin, Freunde und Bekannte für seine Zwecke zu aktivieren. Über die bestehenden Kontakte baute er sein europaweites Netzwerk stetig aus. Dafür organisierte er Empfehlungsschreiben, mit denen er Kontakte zu einflussreichen Persönlichkeiten knüpfen konnte und mit deren Hilfe es ihm gelang, zweckbestimmte Freundschaften zu schließen. Für die Konzertreisen waren die Empfehlungsschreiben gleichsam „Eintrittskarten“ zu neuen gesellschaftlichen Kreisen und Konzertorten. Erst einmal dort angekommen, schufen die Auftritte der Kinder, insbesondere des Wunderkindes Wolfgang Amadé das Übrige: Die Bekanntheit und das Freundesnetz wuchsen stetig. Konnte sich Leopold dann noch die nötige Protektion durch einen Gönner sichern und diese anschließend durch die Widmung eines Werkes öffentlich machen, war das die Krönung seiner Arbeit, wie Leopold Mozart selbst in einem Brief erklärt: »Man kann durch Composition, die man stechen läßt, vieles gewinnen. ja! aber gehört nicht zu allem diesem eine Protecktion, ein oder mehr Freunde, eine Subskription, und setzt dieß alles nicht eine schon gemachte Bekanntschaft voraus?« Leopolds Bewusstsein für die Kraft des Networking könnte kaum aktueller sein: Auch heute ist die Pflege von Kontakten ein wichtiger beruflicher Karrierefaktor und Teil jeder planvollen Öffentlichkeitsarbeit.

 

Im Bewusstsein für Selbstinszenierung und Selbsterkenntnis stand der Schriftlichkeit des Briefes die Ausdruckskraft des Bildes zur Seite. 

 

Leopold Mozart stilisierte sich selbst nicht nur in seinen Schriften, sondern auch in Bildern zum gelehrten Komponisten mit universalen Talenten. Seinen Sohn Wolfgang dagegen inszenierte er als Wunderkind und Genie. Wie effektiv Leopold dabei vorging, zeigt folgende Begebenheit auf der Westeuropareise mit seinen zwei Kindern: 1763 porträtierte der berühmte Pariser Maler Louis Carrogis de Carmontelle die musizierende Familie. Der siebenjährige Wolfgang steht im Mittelpunkt, Vater Leopold und Schwester Nannerl rahmen den jungen Musiker ein. Vor allem Wolfgang hatte Aufsehen in Paris erregt. So erfreute sich auch das Bild des Wunderkindes mit Vater und Schwester großer Beliebtheit, zumal es von dem in der Pariser »High-Society« äußerst gefragten Maler stammte. Auf Nachfrage mehrerer Sammler fertigte Carmontelle Kopien des Aquarells an. Auch Leopold war sich des Wertes des beliebten Motivs bewusst: Er lässt von Jean-Baptiste Delafosse einen Kupferstich anfertigen. Auch sein guter Bekannter Christian von Mechel wurde wohl von ihm beauftragt, wie er 1764 nach Salzburg schreibt: »M. de Mechel ein Kupferstecher arbeitet Hals über Kopf unsere Portaits die H: v Carmontel I: ein Liebhaber I: sehr gut gemahlt hat, zu stechen.« Gewiss ist, dass Leopold von Delafosses Kupferstich auf eigene Kosten »Werbeflyer« drucken lässt, die er auf der Europareise verteilte. Die Darstellung der musizierenden Familie erfuhr damit schon zu Lebzeiten der Mozarts eine außergewöhnliche Verbreitung. Diese setzte sich fort: Bis ins 19. Jahrhundert wurden die Blätter nachgedruckt und waren bei europäischen Kunsthändlern erhältlich. Leopold hatte das medienwirksame Motiv äußerst geschickt eingesetzt und damit alles in die Wege geleitet, um die Bekanntheit seiner Familie und vor allem die des Wunderkindes Wolfgang Amadé zu steigern.

 

Ausblick

 

Auch Jahrhunderte später wirkt sich das Verdienst Leopold Mozarts auf den Ausnahmestatus seines Sohns aus. Die Beliebtheit Wolfgang Amadés ist ungebrochen. Sein Werk, aber auch seine Persönlichkeit haben mythischen Charakter erlangt: Sie erzählen Geschichten, die Menschen bis heute berühren. Nächstes Jahr nun steht Leopold im Mittelpunkt. Sein 300. Geburtstag jährt sich und gibt Anlass, sein Leben und Werk ins Scheinwerferlicht zu rücken. Dann jedoch sind die Rollen vertauscht. Dann wird der Sohn Wolfgang Amadé dank seiner Prominenz dem Vater Leopold zu größerer Bekanntheit und Öffentlichkeit verhelfen.

 

(Cornelia Wild)

 

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